Zen und Bonsai/ Zen and Bonsai

 

Zen und Bonsai

 

von Gunter Lind

 

Zen (Tschan) kam im 6.Jh. aus Indien nach China. Seit dem 13. Jh. kann man von einer Zen-Schule in Japan sprechen. Während Zen in China immer nur eine von mehreren buddhistischen Richtungen war und sein Einfluß außerhalb der Zen-Klöster nicht allzu groß, wurde es in Japan vom 13. bis zum 17. Jh. zu einer breiten Laienbewegung. Vor allem in der neuen Oberschicht der Samurai, die in der Kamakura-Zeit den alten Adel entmachtete, hatte Zen viele begeisterte Anhänger. Die Samurai waren ursprünglich Söldner und behielten ihr militärisches Selbstbewusstsein bei. Dem kam Zen mit der Betonung von Selbstbeherrschung, Disziplin und Strenge entgegen. Außerdem bot es die Möglichkeit, das Kriegshandwerk pseudoreligiös zu überhöhen, Schwertkampf und Bogenschießen zu einer Art Meditationsübungen zu machen. In der chinesischen Oberschicht der Literaten-Beamten hat Zen hingegen nur wenige Anhänger gewinnen können. Es passte einfach nicht in diesen intellektuellen Kreis. In der Edo-Zeit nahm mit dem politischen Einfluss der Samurai auch der Einfluss des Zen langsam ab. Das aufstrebende Bürgertum setzte sich bewusst von der elitären Samuraikultur ab. Diese zeigte außerdem Elemente von Formalisierung und Stagnation. Erst im 20.Jh. wurde Zen wieder "entdeckt", als ein Gegenpol gegen die Verwestlichung der japanischen Kultur.

 

Das hervorstechende Kennzeichen von Zen gegenüber anderen buddhistischen Richtungen ist seine Anti-Intellektualität. Zen bekämpft die verstandesmäßige Erkenntnis und propagiert den direkten, intuitiven Einblick in die übernatürlichen Wahrheiten. Es gibt keine heiligen Schriften, keine Dogmen, keine Mythen. Lao-tse soll gesagt haben: Wer weiß, spricht nicht. Wer spricht, weiß nicht. Erkenntnis oder gar Erleuchtung geschieht im Erlebnis, situativ und unplanbar. Man kann sich nur darauf vorbereiten, und diese Vorbereitung ist keine intellektuelle, auch keine moralische, sondern viel eher eine ästhetische. Man umgibt sich mit Dingen, die jenes Gefühl tiefer Einsamkeit und Leere ausstrahlen, das der Erleuchtung vorausgeht.

 

Zen and Bonsai

 

by Gunter Lind

 

Zen (Ch'an) came to China from India in the 6th century. Since the 13th century one can speak of a Zen school in Japan. While Zen was just one of several Buddhist schools in China, and its influence outside the monasteries was never big, it became a broad movement among laypeople in Japan from the 13th to the 17th century. It was adopted enthusiastically in particular by the new upper class of the Samurai who had disempowered the old nobility during the Kamakura period. The samurai, coming from being mercenaries, adhered to their military self-image, which was in line with the Zen ideals of self-restraint, discipline and austerity. It also allowed for a pseudo-religious glorification of war rituals, transforming sword fight and archery into meditation practices of a kind. Zen had not been able to attract many followers among the Chinese upper class of scholar officials - it just didn't fit their intellectual climate. During the Edo period the influence of Zen waned along with the political influence of the Samurai. The upcoming bourgeoisie deliberately dissociated itself from the elitist Samurai culture, which also suffered from having become formalized and stagnant. It was not until the 20th century that Zen was rediscovered as an antidote to the Westernization of Japanese culture.

 

The most salient characteristic of Zen when compared to other Buddhist schools is its anti-intellectualism. Zen is opposed to intellectual knowledge and instead promotes direct, intuitive experience of transcendental truths. It doesn't have holy scriptures, dogmas or myths. Lao-Tse is reported to have said: Those who know do not talk. Those who talk do not know. Knowledge or sudden revelation happens in experiencing things, it is bound to situations and cannot be planned. You can only prepare for it, and this preparation is not intellectual or moral, but aesthetic. You surround yourself with things that emanate this certain feeling of deep loneliness and emptiness which is the precursor to enlightenment.

 

Bild 1  Tani Buncho: Ein Fischer, Tuschzeichnung im Stiel der Zen- Malerei.

 

Image 1  Tani Buncho: Fisherman, ink painting in the Zen style

 

Bild 2  Sesshu: Haboku-Landschaft

 

Die bevorzugten Kunstformen der chinesischen Zen-Mönche waren Kalligraphie und Malerei, genau wie bei den Literaten. Und es gibt auch eine Reihe von Parallelen zur Literatenmalerei. Allerdings ist die Zen-Malerei wilder, schneller, spontaner. Das Bild wird oft in einem Zug hingeworfen, die Gegenstände werden nicht genau dargestellt, es gibt kaum elaborierte Kompositionen. Wilde, dicke Linien, in denen manche Einzelheiten verschwinden, werden bevorzugt. In China lag der Höhepunkt dieser Kunst im 13.Jh. Ein Beispiel aus Japan ist die Herbstlandschaft von Ishi Bunshu (1608-1648),einem Zen-Mönch aus einem Samurai-Geschlecht: eine Pagode auf einem bewaldeten Bergrücken vor fernen Bergen, darüber ein Schwarm von Wildgänsen (Bild 1). Bunshu war ein hervorragender Tuschmaler. Seine Arbeiten zeigen den Charakter der Zen-Kunst ohne die etwas groben Züge, die diese bei weniger versierten  Malern manchmal hat.

 

Image 2  Sesshu: Haboku landscape

 

The preferred art forms of the Chinese Zen monks were calligraphy and painting, just as with the literati. And there are several parallels to literati paintings. But Zen painting is wilder, faster and more spontaneous. The drawing is jotted down in one session, with no exact drawing of objects and almost no elaborate compositions. You often see thick, wild lines which make the details vanish. In China this art culminated in the 13th century. An example from Japan is the autumn landscape by Ishi Bunshu (1608-1648), a Zen monk from a dynasty of Samurais: A pagoda on a mountain ridge covered with trees, with a swarm of wild geese and distant mountains in the background. Bunshu was an excellent painter. His works show the character of Zen art without the somewhat raw features that it can have in the hands of lesser accomplished artists.

 

Bild 3 - 1648): Herbstlandschaft

 

Charakteristisch für Japan ist, dass eine ganze Reihe von Kunstformen hinzutreten, die es in China nicht gibt: das No-Spiel, die Haiku-Dichtung, der Teekult, der Schwertkult, der Zen-Garten. Zen wird hier zu einer Art Lebensanschauung, die alle Lebensbereiche zu einem Zen-Gesamtkunstwerk macht. Bonsai gehörte nicht zu diesen bevorzugten Kunstformen. Während es bei Ikebana eine spezielle Richtung gibt, die den Prinzipien des Zen folgt (Chabana), hat sich bei Bonsai so etwas nicht entwickelt. Auch in der Zen-Malerei sind Bonsai nur ganz selten dargestellt (das gilt allerdings für die Tuschmalerei überhaupt). Bild 4 zeigt ein Beispiel, eine kleine Ume mit einer Blüte und vier Knospen, ganz schlicht, ein schönes Meditationsbild, aber auf einer Bonsaiausstellung hätte der Baum wohl keine Chance.

 

Image 3  Ishi Bunshu (1608-1648): Autumn landscape

 

A characteristic of Zen in Japan is the addition of several art forms which didn't exist in China: Noh drama, haiku poetry, the tea ceremony, the cult of the sword, and Zen gardens. Here Zen is becoming a way of life which transforms all facets of life into a total work of art. Bonsai however wasn't one of these preferred art forms. While there's a specific school of Ikebana following the principles of Zen (Chabana), there is nothing comparable for bonsai. Bonsai are also rarely depicted in Zen paintings (which however is also true for ink paintings in general). Image 4 shows one of the rare examples, a small Ume with one blossom and four buds, very simple - it is a lovely meditation picture, but the tree would hardly have a chance at a bonsai exhibition.

 

Bild 4  Unbekannter Künstler (1854): rückwärtiger Einband eines Buches mit Zen-Malerei

 

Hoseki Shinichi Hisamatsu (Zen and the Fine Arts, übers. von Gishin Tokiwa. Tokyo 1971) hat versucht, das Charakteristische der Zen-Kunst durch sieben Eigenschaften zu beschreiben, die heute wohl als die treffendste Kennzeichnung gelten. Er betont, dass es nicht im Sinn des Zen sei, diese Charakteristika analytisch zu trennen, dass sie vielmehr ein untrennbares Ganzes bilden. Ein Kunstwerk muß also alle diese Charakteristika besitzen, wenn es der Zen-Kunst genügen will, und das gilt natürlich auch für einen Bonsai.

 

1.Asymmetrie. Für den Buddhisten ist eine perfekte Form unmöglich. Es muß deshalb auch abgelehnt werden, sie anzustreben. Jedes Ding ist irgendwo irregulär, nicht ausbalanciert, informell. Das soll sich im Kunstwerk widerspiegeln. 
2.Einfachheit, Schlichtheit, Vermeidung von Komplexität. Ein Bonsai soll nicht mehr enthalten, als notwendig ist.
3.Schmucklose Erhabenheit. Zen-Kunst ist nicht jugendlich, sinnenfreudig und üppig. Sie paßt zu vorgerücktem Alter und zeigt eine gewisse Strenge und Essentialität. Die Entfernung alles äußeren Glanzes soll auf den Kern der Aussage hinleiten. Die wettergegerbten Äste einer alten Kiefer, die in Sturm und Schnee knochig und ausgemergelt geworden sind, zeigen diese Erhabenheit.
4.Natürlichkeit. Der Begriff bedarf einer Interpretation. Gemeint ist nicht die Kiefer, die zufällig in der Natur vorkommt, sondern die Kiefer, die so aussieht, wie eine Kiefer eigentlich ist, die originale Kiefer. Sie soll nicht künstlich aussehen, auch nicht kunstfertig, sondern ungezwungen, so als sei sie immer schon so gewesen und könne nicht anders sein, so als habe sie nie eine Menschenhand gestaltet. 
5.Tiefgründigkeit oder schweigsame Tiefe. Das Kunstwerk soll mehr ausdrücken als der gezeigte Gegenstand. Die Kiefer ist nicht nur eine Kiefer. Sie kann Altehrwürdigkeit, Durchhaltewillen, Winter, Todesnähe oder männliche Kraft symbolisieren. Intendiert sind Implikationsreichtum, Assoziationsvielfalt, Gedankenschwere, Andeutungen, die manches zulassen, durchaus auch eine gewisse Unklarheit. Der Baum soll nicht leicht zu durchschauen sein. Sein Wesen mag zunächst verdeckt sein und sich erst schrittweise erschließen.
6.Freiheit von allem Irdischen, von Gewohnheiten, Konventionen, Sitten, Regeln. Zen akzeptiert keine Zwänge im Denken und Handeln. Das Überschreiten konventioneller Sicht- und Denkweisen ist für Zen konstitutiv. Die Kiefer, der man ansieht, dass sie gemäß den klassischen Regeln eines streng aufrechten Baumes gestaltet wurde, erfüllt den Anspruch der Zen-Ästhetik nicht. Das heißt nicht, dass Regeln keinerlei Wert hätten. Für den Anfänger mögen sie hilfreich sein. Aber wenn es  den Zen-Charakter des Bonsai erhöht, soll man sich darüber hinwegsetzen. Regeln sollen ermöglichen, nicht binden.
7.Stille, Einsamkeit, Seelenruhe. Dies ist das Gefühl, das ein Baum vermitteln soll. Zen-Kunst ist nach Innen orientiert. Alles, was diese Ruhe stört, ist zu eliminieren.

 

Natürlich muß man eine solche begriffliche Kennzeichnung mit einer gewissen Vorsicht betrachten, denn nach der Überzeugung des Zen sind die Kennzeichen seiner Ästhetik genau so wenig in Begriffe zu fassen, wie Erkenntnis überhaupt. Aber ich denke, dass Hisamatsu der Sache doch recht nahe gekommen ist, auch wenn vielleicht in der künstlerischen Erfahrung noch eine weitere Qualität hinzukommen mag.

 

Die Zen-Malerei kann man als einen Spezialfall der Literatenmalerei betrachten und insofern einiges von dem Baumbild der Literatenmalerei in den sogenannten Literatenstil von Bonsai eingegangen ist, sollte ein nach Hisamatsus Kriterien gestalteter Bonsai auch Kennzeichen  des Literatenstils besitzen. Quingquan Zhao hat das ästhetische Ideal des Literatenstils in vier Kriterien beschrieben, die in der Tat große Ähnlichkeit mit Hisamatsus Kennzeichnung haben.

 

1.  Der Gesamteindruck des Baumes soll Weltabgewandtheit und Einsamkeit vermitteln.
2.  Kargheit in den Mitteln der Gestaltung.
3.  Der Baum soll einen eleganten, geschmackvollen Eindruck vermitteln, und zwar durch die einfachen, natürlichen Linien der
     Komposition.
4.  Der Baum soll eine klare Aussage vermitteln, hinter der die äußere Form zurücktritt. "Mehr sein als scheinen".

 

Die Ähnlichkeiten sind deutlich. Es gibt jedoch auch eine charakteristische Akzentverschiebung. Der Literatenstil strebt nach einem eleganten, geschmackvollen Baum, auch nach Individualität und Unverwechselbarkeit. Für den Zen-Baum ist dies weniger wichtig. Dafür wird die schmucklose Erhabenheit, die aller Sinnenfreude abhold ist, stärker betont. Diesen Unterschied kann man durchaus am unterschiedlichen Lebensstil der chinesischen Literaten-Beamten und der japanischen Zen-Mönche festmachen.

 

Image 4  Unknown artist (1854): Back cover of a book with Zen paintings

 

Hoseki Shinichi Hisamatsu (in Zen and the Fine Arts, translation by Gishin Tokiwa, Tokyo 1971) has tried to characterize Zen art using seven properties. His characterization is still regarded as the most adequate one. He however points out that an analytic separation of these properties would not be in accordance with the Zen spirint and that they should rather be regarded as an inseparable whole. In order to qualify as Zen, a work of art should have all of these properties, and the same would of course hold for a bonsai.

 

1         1 -Asymmetry. For a Buddhist a perfect form is impossible. So it shouldn't be striven for in the first place. Everything is  somewhat irregular, not balanced, informal. This should be reflected in the work of art.

 

2        2 - Simplicity, plainness, avoidance of complexity. A bonsai should not contain more than necessary.

 

3        3 - Austere sublimity. Zen art is not youthful, sensual or opulent. It fits better with advanced age and shows a certain rigour and austerity. Removing all external splendour is supposed to lead into the heart of the message. The weathered branches of an old pine, lanky and emaciated by storm and snow, show this sublimity.

 

4        4 - Naturalness. This is a concept that needs interpretation. What is meant is not a pine which might occur as well in nature, but a pine that shows the essence of a pine, the prototypical pine. It should not look artificial or even artistic, but effortless and informal, as if it always had been that way and could not be different, as if it hadn't been styled by man.

 

5        5 - Subtle profoundness. The work of art should express more than the shown subject. The pine is not only a pine. It can symbolize dignity, perseverance, the season of winter, closeness to death or virility. It is desirable to have a richness of implications, associations, deepness of thought, innuendos that leave room for interpretation, that also have some vagueness. The tree should not be easy to see through. Its essence might be hidden first and only reveal itself step by step.

 

6        6 - Freedom from attachments to mundane things, to habits, conventions, customs, or rules. Zen does not accept constraints of thinking or acting. The transgression of conventional ways of thinking is an essential feature of Zen. A pine that obviously has been designed according to the classical rules of a formal upright tree doesn't satisfy the requirements of the Zen aesthetic. This doesn't mean that the rules wouldn't have any value though. They might be useful for a beginner. But if it enhances the Zen character of a bonsai, the rules should be broken. Rules should enable, not restrict.

 

7        7 - Tranquility, loneliness, peace of mind. This is the feeling that a tree should convey. Zen art is directed inwards. Everything that disrupts this peace needs to be eliminated.

 

Of course such a conceptual characterization should be regarded with certain reservations, because according to the philosophy of Zen, its aesthetic principles evade conceptual characterization as much as knowledge in general does. I think however that Hisamatsu's characterization is very close to the spirit of Zen, even if there might be an additional quality when it comes to aesthetic experience.

 

Zen painting can be seen as a special case of literati painting, and since some of the ideas about depicting a tree that come from literati painting have been taken up by the so-called literati bonsai style, a bonsai that is designed according to Hisamatsu's criteria should also exhibit features of the literati style. Quingquan Zhao has described the aesthetic ideals of the literati style with four criteria which have a striking similarity to Hisamatsu's characterization:

 

  1. 1 - Aloofness - the overall appearance of a tree should convey an impression of detachment from the world and of loneliness.
  2. 2 - Sparseness in the design elements.
  3. 3 - Refined elegance - the tree should be elegant and graceful, by means of simple, natural lines of the composition.
  4. 4 - Plainness - the tree should convey a clear message behind which the external form should take a subordinate place: More essence than appearance.

 

Besides the obvious similarities there's a characteristic shift in bias: The literati style strives for an elegant, tasteful tree, but also for individuality and uniqueness. For the Zen tree, this is less important. Instead, there's a stress on austere sublimity which is dismissive of any external beauty. This difference can be traced back to a difference in lifestyle between the Chinese scholar officials and the Japanese Zen monks.

 

Bild 5 Picea abies 50 cm hoch, von Walter Pall, Erstgestaltung von Werner Trachsel,

 

Ein schönes Beispiel für einen Baum im Literatenstil, der alle Kennzeichen Hisamatsus erfüllt, ist die Fichte von Walter Pall / Werner Trachsel (Bild 5). Die Kargheit der Gestaltungsmittel, die einfache, strenge Schönheit, die allen Äußerlichkeiten abhold ist, sind hier mustergültig verwirklicht. Der Baum entspricht auch der sogenannten Literatenform ("mehrfach gebogener Stamm, wenig Laub, kleine runde Schale"). Diese ist jedoch für den Zen-Charakter eines Bonsai ganz irrelevant. Nach Hisamatsus Kriterium 6 ist vielmehr jede Kanonisierung bestimmter Formen abzulehnen. Die Literatenform kann auch nicht als adäquate Kennzeichnung des Baumbildes der Literatenmalerei gelten. Dieses läßt sich zwar im Sinne Zhaos beschreiben, aber nicht durch eine einzige Form kennzeichnen. Deshalb sei hier noch ein Beispiel eines Baumes angeführt, der die Kriterien Hisamatsus erfüllt, jedoch nicht in der Literatenform gestaltet ist, sondern eher einem naturalistischen Gestaltungsideal folgt, eine Kiefer von Walter Pall (Bild 6)

 

Image 5  Picea abies, height 50 cm, by Walter Pall, first styling by Werner Trachsel

 

The spruce by Werner Trachsel and Walter Pall (Image 5) is an excellent example for a tree in the literati style. The restraint in design elements, the simple, austere beauty, which is devoid of all outwardness, are  exemplary. The tree also has the typical features of the literati style: A trunk with multiple bends, sparse foliage, and a small round pot. All this is however quite irrelevant for the Zen character of a bonsai. According to Hisamatsu's sixth criterion, all canonicalization of styles should be avoided. Furthermore, the literati style cannot be considered the only realization of the principles of literati paintings. These can be characterized along the lines of Zhao, but they can be fulfilled by more than one style. Therefore we'd like to show another example of a tree which fits the principles of Hisamatsu, but is not designed in the literati style. Instead, the following pine by Walter Pall is designed in a more naturalistic style (Image 6).

 

Bild 6  Pinus mugo, Bergkiefer, 75 cm hoch, gestaltet von Walter Pall

 

Dass Zen im Wesentlichen eine Sache der Mönche und der Samurai blieb, lag wohl auch daran, dass es für einen im Erwerbsleben stehenden Kaufmann oder Handwerker nicht so leicht war, die strengen Grungsätze des Zen im Alltag zu befolgen. Es hat verschiedene Versuche gegeben, Zen für breitere Schichten attraktiver zu machen. Der erfolgreichste war wohl der von Sen no Rikyu (1521-1591) eingeführte "Weg des Tees". Die Zeremonie des Teetrinkens wird dabei als eine Oase des Zen im Getriebe des Alltags gestaltet. Der Weg zur Teehütte durch den Teegarten soll den Menschen die Dinge des Alltags vergessen lassen. Er soll die Leidenschaften hinter sich lassen und ruhig werden. Die Teezeremonie ist dann eine meditative Zen-Übung.

 

Um diese zu ermöglichen, soll alles im Garten und in der Hütte gemäß den ästhetischen Prinzipien des Zen gestaltet sein. Rikyu hat hierfür den plakativen Begriff  "Wabi-Sabi" eingeführt. Auf die ursprüngliche Bedeutung dieser Wörter und  die Bedeutungsverschiebung im Sinn der Zen-Ästhetik soll hier nicht eingegangen werden. Heute betrachtet man Wabi-Sabi am besten als einen Begriffskomplex, der die ästhetische Wertschätzung ursprünglicher Einfachheit, die Schönheit des nicht Perfekten, Unvollendeten, Unvollständigen, Anspruchslosen meint. Dies ist eine bestimmte Auslegung der Zen-Ästhetik, eine Auslegung, die den Vorteil hat, dass man sie auch ohne den religiösen Hintergrund des Zen schätzen und praktizieren kann. Rikyu nimmt als Modell des Teeweges das Leben in ländlicher Einfachheit, sozusagen eine Projektion des vermuteten Urzustandes des Menschengeschlechts, in dem Natur und Kultur noch eine Einheit gebildet haben sollen. Modell der Teehütte ist die Bauernhütte mit rohen Lehmwänden und Reetdach. Modelle des Teegeschirrs findet er in der von anonymen Handwerkern geschaffenen Gebrauchskeramik. Eine solche Idealisierung und Ästhetisierung des einfachen Lebens ist  keineswegs spezifisch für den fernen Osten. Dann mag man den guten Geschmack der Gesellschaft gering achten und ihm ein Ideal der Bescheidenheit entgegensetzen. Man mag die kleinen, stillen, Geborgenheit vermittelnden Dinge dem Prachtvollen, Großartigen vorziehen. Man mag den Spuren des Gebrauchs, den Kerben, Schrammen, dem Rost die Dignität der Altehrwürdigkeit verleihen. Auch wenn man Wabi-Sabi vom religiösen Hintergrund des Zen löst, das grundlegende Lebensgefühl des Zen wird man aber wohl kaum eliminieren können: das Gefühl von Einsamkeit und zarter Trauer, das aus dem Wissen von der Vergänglichkeit und Unvollkommenheit der Dinge und dem Nachdenken über die eigene Sterblichkeit kommt.

 

Die hier am Beispiel von Wabi-Sabi gezeigte Loslösung der Zen-Ästhetik von der Zen-Kunst im engeren Sinn ist für die japanische Kunst sehr bedeutsam geworden, so bedeutsam, dass man geneigt ist, einen gewissen ästhetischen Minimalismus für ein generelles Kennzeichen japanischer Kunst zu halten. Er ist allerdings nur die eine Seite und oft findet man beide Seiten bei demselben Künstler. Das Blatt von Ando Hiroshige (Bild 7) zeigt die wesentlichen Kennzeichen aus der Liste Hisamatsus, wenn es auch vielleicht etwas zu sinnenfreudig geraten ist. Hiroshiges Ruhm begründet sich allerdings ganz auf der anderen Seite der japanischen Kunst, dem bunten, weltoffenen, detailverliebten Farbholzschnitt. Er fand offenbar nichts dabei, beide Seiten zu praktizieren. Die Beherrschung verschiedener Stile wird in der fernöstlichen Kunst oft höher bewertet als die Entwicklung eines individuellen Stils. Allerdings findet man die Zen-Ästhetik bei Hiroshige nur in privaten, nicht zum Verkauf bestimmten Skizzen. Beim breiten Publikum war Zen-Kunst damals schon nicht mehr so beliebt. Und daran hat sich bis heute wenig geändert.

 

Image 6  Pinus mugo, Mountain pine, height 75 cm, styled by Walter Pall

 

The fact that the Zen lifestyle was mainly limited to monks and Samurai is of course also due to the fact that it was much more difficult for a merchant or craftsman to live up to the strict principles of Zen in everyday life. There have been several attempts to make Zen more attractive to a broader public; the most successful one is probably the "Way of Tea" introduced by Sen no Rikyu (1521-1591). Here, the tea ceremony constitutes an oasis of Zen in the daily grind. They path through the tea garden towards the tea hut should make people forget their everyday life. They should leave behind all passions and calm down. The tea ceremony is made a meditative Zen exercise.

 

To make this possible, all things in the garden and the hut should be designed in accordance with the aesthetic principles of Zen. Rikyo introduced the striking concept of Wabi-Sabi for this. Without foraying into the original meaning of these words and the shift they took in the context of Zen aesthetics, let us just look at the modern concept of Wabi-Sabi, which can be characterized as a complex concept meaning appreciation of pristine simplicity, the beauty of imperfection, of the unfinished, of the unrefined and unpretentious. This is a specific reading of Zen aesthetics, and one which has the advantage that it can be appreciated and practiced without the religious background of Zen. Rikyu takes the life in rural simplicity as a model for his way of tea, which is a projection of the primordial state of humanity in which nature and culture were allegedly still a unity. The farmer's cabin is the model for a tea hut, with its walls made of raw clay and its thatched roof. The models for tea dishes are ceramics for everyday life, made by anonymous craftsmen. Such an idealization and aestheticisation of simple life is not unique to the East. One might dismiss the aesthetic rules adopted by society and counter them with an ideal of modesty. One might prefer small and hidden things, things that give you a feeling of security, to grand and splendid things. One might find the dignity of age in the traces of use, in notches, scars and rust. Even if you dissociate Wabi-Sabi from the religious background of Zen, you will not be able to eliminate Zen's basic attitude to life: A feeling of loneliness and a mild sorrow which results from the knowledge about the fundamental impermanence and imperfection of things and the reflection on one's own mortality.

 

The dissociation of Zen aesthetics from Zen art in a narrow sense which was exemplified here in the concept of Wabi-Sabi has become very important for Japanese art, so important that one is likely to associate a certain aesthetic minimalism with Japanese art in general. This is however only one aspect of it, and often one can find both aspects in the work of a single artist. The following sheet by Ando Hiroshige (Image 7) shows the essential features from Hisamatsu's list, even if the realization is perhaps a bit too sensuous. Hiroshige's fame however is based on quite another facet of Japanese art, the colourful and cosmopolitan woodblock prints which are obsessed with detail. Apparently he thought nothing of exercising both styles. It is quite common in Asian art that an artist's command of several different styles is rated higher than the development of an individual style. You will however find Hiroshige using this Zen aesthetic only in private sketches, not in paintings for sale. Zen art was already declining in popularity back then - and that hasn't changed much today.

 

Bild 7  Ando Hiroshige (1797-1858): Blühende Kirschbäume am Flussufer, Wasserfarben.

 

Das gilt wohl auch für Bonsai. Vielleicht sind Bonsaiausstellungen und Demonstrationen auch nicht der rechte Ort, Zen-Ästhetik zu praktizieren. Aber vielleicht ist das auch gerade eine Chance. Die künstlerische Erfahrung des Zen ist im Prinzip für jeden erreichbar. Sie erfordert nicht nur keinen Profi, sondern hat etwas genuin Unprofessionelles. Vielleicht ist dies eine Möglichkeit für den Bonsai- Hobbyisten, ästhetisch befriedigende Bäume zu gestalten, ohne den hoffnungslosen Versuch zu machen, sich mit Kimura messen zu wollen?

 

Prof. Dr. Gunter Lind

 

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Am 9.4.07 starb Prof. Dr. Lind nach schwerer Krankheit. In der Zeit seines Ruhestandes widmete er sich hingebungsvoll der Erforschung der Bonsaigeschichte. Nur ein sehr kompetenter Bonsai- und Kunstkenner ist in der Lage, ein im Westen so noch völlig unbekanntes Wissensgebiet, aufzuzeigen.

 

Viele seiner Artikel wurden zum Beispiel z.B. in BONSAI-ART und im BONSAI FACH FORUM

 

veröffentlicht, und viele noch unvollendete Artikel werden wohl leider für uns im großen Arkanum verschlossen bleiben.

 

 

 

Zur Vollendung der „ Bonsaischalen -info“ Seite ist es eine Ehre, diesen Artikel hier zeigen zu dürfen.

 

 

 

Mein ganz besonderes Dankeschön an Frau Lind,

 

so wie auch an Walter Pall für die Bereitstellung seiner Fotos.

 

 

 

Text und Bilder:

 

Bild 1 Tani Buncho: Ein Fischer, Tuschzeichnung im Stiel der Zen-Malerei.

 

Bild 2 Sesshu: Haboku-Landschaft

 

Bild 3 Ishi Bunshu: Herbstlandschaft, Tuschmalerei. Aus Kurt Brasch: Zenga, Tokyo und Hamburg 1961

 

Bild 4 Unbekannter Künstler (1854): rückwärtiger Einband eines Buches mit Zen-Malerei (buddhistische Heilige und Pferde)

 

Bild 7 Ando Hiroshige (1797-1858): Blühende Kirschbäume am Flussufer, Wasserfarben. Aus John R. Hillier: Japanische Zeichnungen vom 17. bis 19. Jahrh. Hamburg 1966

 

Copyright: Gerlind Lind

 

 

 

Foto Nr. 5 und 6 Walter Pall

 

 

 

Image 7  Ando Hiroshige (1797-1858): Cherry blossoms on a river bank, water colour

 

I guess the same is true for bonsai. But maybe bonsai exhibitions and demonstrations are not the right place to practise Zen aesthetics anyway. This might even open up an opportunity: The artistic experience of Zen is basically open to all. Not only does it not require you to be a professional, it is intrinsically non-professional. Could this be the chance for bonsai hobbyists to design aesthetically appealing trees without having to compete with Kimura?

 

Prof. Dr. Gunter Lind

 

                                                                                                        

 

 

 

On the 9th of April 2007, Prof. Dr. Lind died after a severe illness. After his retirement, he had dedicated most of his time to the exploration of bonsai history. It took a very competent bonsai and art connoisseur to disclose a field of knowledge that is so completely unknown in the west.

 

Many of his articles were published by the magazine BONSAI ART and in the German BONSAI FACHFORUM internet forum. Unfortunately many unfinished articles will be lost for us.

 

It is a great honor for the “bonsaipots.net” website to have the permission to publish this article.

 

Special thanks to Mrs Lind and to Walter Pall for the kind permission to use his photographs.

 

Text and images:

 

Image 1: Tani Buncho: Fisherman, Ink drawing in the style of Zen painting

 

Image 2: Sesshu: Haboku landscape

 

Image 3: Ishi Bunshu: Autumn landscape. Ink drawing. From Kurt Brasch: Zenga, Tokyo and Hamburg 1961

 

Image 4: Unknown artist (1854): Back cover of a book with Zen paintings (Buddhist saints and horses)

 

Images 5 and 6: Walter Pall

 

Image 7: Ando Hiroshige (1797-1858): Cherry blossoms on a river bank. Water colour. From John R. Hillier: Japanische Zeichnungen vom 17. bis 19. Jahrh. (Japanese Paintings from the 17th to the 19th century), Hamburg 1966

 

 

 

Copyright: Gerlind Lind

 

 

 

Literature:

 

Quingquan Zhao: Penjing: Worlds of Wonderment, Athens, GA: Venus Communications, 1997

 

Shinitchi Hisamatsu, trans. Gishin Tokiwa: Zen and the Fine Arts, Tokyo: Kodansha International Ltd., 1971

 

Translation: Stefan Ulrich